Die Braunschweiger Hütte
Klima und Tourismus in Wandel125 Jahre Braunschweiger Hütte
Seit 125 Jahren steht die Braunschweiger Hütte im Tiroler Pitztal. Der Wanderreisen-Boom bescherte den Wirtsleuten und dem Deutschen Alpenverein (DAV) zuletzt so viele Gäste wie nie zuvor. Trotzdem steht das frisch sanierte Unterkunftshaus vor einer ungewissen Zukunft. Die Gletscher schmelzen, Permafrost taut, Hänge rutschen ab, alte Routen sind nicht mehr begehbar. Außerdem dürfte der geplante Ausbau des Gletscherskigebietes das Umfeld der Hütte nachhaltig verändern. Auch 2759 Meter über dem Meer geht es um die ganz großen Fragen: Tradition oder Moderne? Naturschutz oder Kommerz?
Der Wander-Boom
„Ich bin dann mal weg.“Hape Kerkeling (*1964), Komiker
Wanderer einst uns jetzt
1977 stehen die vier Bergsteiger im linken Bild vor der Braunschweiger Hütte. Kniebundhosen, Lodenhüte und schwere Leder-Bergstiefel waren damals der Ausrüstungsstandard. Das Foto schickte übrigens Leser Alfred Hippler an die Redaktion.
2012 tragen die E-5-Wanderer im rechten Bild wetterfeste Jacken aus Gore-Tex - und vermutlich Funktionsunterwäsche. Sie lassen sich von Bergführer Ecke Frick eine Schneewechte zeigen. Wohl dem, der Trekkingstöcke hat!
Mythos Alpenüberquerung
Wer den E 5 geht, kommt unweigerlich an Braunschweigs höchstgelegenem Haus vorbei: Die Braunschweiger Hütte steht knapp unter dem Übergang vom Tiroler Pitztal ins Ötztal. In diesem unbeständigen Bergsommer übernachteten mehr als 13 000 Gäste im stattlichen Haus des Alpenvereins. Früher stellten ambitionierte Gipfelstürmer, Alpinisten aus Ausbildungskursen und Tagesgäste das Gros der Besucher. Nun bestimmen die Wandergruppen mit ihren Bergführern das Bild. Meistens erreichen sie am vierten Tag ihrer Alpenüberquerung die Hütte.
Eine Hütte ist kein Hotel
Die Mehrheit der Gäste schätzt freilich den urigen Charme der Hütte mit Lagern und Stockbetten, Gruppenwaschräumen und holzgetäfelten Gaststuben. Das warme Wasser in den drei Duschkabinen ist für sie purer Luxus: „Viele Leute suchen hier das einfache Leben – und ein bisschen Abenteuer“, mutmaßt DAV-Hüttenwart Armin Rogge.
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Viele Gäste = viel Arbeit
Ende September wird er die Hütte wieder wetterfest verrammeln, vier Monate Saison sind dann vorbei. Im Winter fährt er nachts im Tal Taxi. "Da habe ich tagsüber Zeit für die Kinder und kann auch mal Ski laufen", erklärt Neurauter.
Mega-Trend Fernwandern
„Ein Gipfel gehört dir erst, wenn du wieder unten bist – denn vorher gehörst du ihm.“Hans Kammerlander (*1956), Südtiroler Extrembergsteiger
Ein schweißtreibender Anstieg
An der Talstation des Versorgungslifts teilt sich der Weg: Links am Hang zieht der Jägersteig hinauf, geradeaus - am Gletscherbach - geht es zum Wasserfallweg. Einige Wegabschnitte sind mit Ketten, Drahtseilen und Eisenklammern gesichert.
In 2385 Metern Höhe vereinigen sich die Wege. Von dort geht es noch eine knappe Stunde durch Rasenhänge und Geröllfelder zur bereits sichtbaren Hütte.
Nach dem Aufstieg die Belohnung
Ein perfekter Platz für eine Hütte
Rechts, unter dem Hinteren Brunnenkogel, ist seit 35 Jahren das Pitztaler Gletscherskigebiet. In diesem Zeitraffervideo vom Spätnachmittag des 8. September 2017 ist deutlich zu erkennen, wie der Föhn die Wolken zu den Gipfeln treibt.
Tourismus im Wandel
„Ein Mensch, der einem Gletscher Gesellschaft leistet, erhält allmählich das Gefühl, dass er unbedeutend ist.“Mark Twain (1835 - 1910), US-amerikanischer Schriftsteller
Die Pioniere dringen in eine eisige Welt vor
Das Foto links zeigt die Braunschweiger Hütte in den späten 1930er Jahren, das Vergleichsbild entstand von einem ähnlichen Standpunkt aus im September 2017. Deutlich erkennbar ist wie stark das Eis des Mittelbergfernerner gescholzen ist.
Der Braunschweiger Alpenverein kommt ins Pitztal
In einem Bericht über die Hütteneinweihung vor 125 Jahren heißt es: „Dann ergriff Curat Jungblut das Wort, um sich im Namen der Pitzthaler bei der Section Braunschweig dafür zu bedanken, dass sie es unternommen, den Verkehr auch dem schönen, bis jetzt wenig bekannten Pitzthal zuzuwenden.“
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Das Pitztal 2017
Diese Sport- und Wellnesstempel stehen im Sommer größtenteils leer, denn 70 Prozent der Gäste kommen im Winter ins Pitztal. Seit 35 Jahren erschließen eine Stollenbahn und Seilbahnen den Gletscher am Hinteren Brunnenkogel. Die Skisaison dauert von Mitte September bis Ende April – trotz Klimawandel.
Foto: Pitztal Tourismus
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Die "Gletscher-Ehe" bahnt sich an
„Der Massentourismus ist ein notwendiges Übel, das man am besten an wenigen Orten konzentriert: Nämlich da, wo bereits Straßen, Parkplätze und Lifte sind.“ Reinhold Messner (*1945), Bergsteiger-Legende
Nach Sölden ist es nur ein Steinwurf
Mit einem Blick auf das Bild können Sie sehen, wie sich Ötz- und Pitztal vom Pitztaler Jöchl aus unterscheiden.
Skigebiete planen die "Gletscher-Ehe"
Naturschutz gegen Massentourismus
„Österreich ist ein Land, in dem der Kompromiss geschlossen wird, noch ehe der Konflikt erkennbar ist.“ Helmut Qualtinger (1928 - 1986), österreichischer Kabarettist
Das sagen die Bergbahn-Betreiber
Das sagen die Einheimischen
Hüttenwirt Stefan Neurauter schätzt, dass die Meinung im Tal gespalten ist: „Die Hälfte der Leute will den Zusammenschluss, die andere Hälfte nicht. Wir müssen abwarten, die Seilbahn wird doch schon seit 15 Jahren gebaut.“
Foto: Pitztal Tourismus
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Das sagen die Naturschutz-Verbände
Die DAV-Sektion Braunschweig hat Ende 2016 ebenfalls eine Stellungnahme zur „Gletscher-Ehe“ abgegeben. Darin heißt es: „Wenn der Zusammenschluss wie vorgelegt genehmigt wird, trägt die Sektion diese Entscheidung mit und entscheidet über einen Winterbetrieb.“
Die Folgen für die Braunschweiger Hütte
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125-Jahr-Feier unter besonderen Vorzeichen
Mit einem Klick auf das Bild erreichen Sie ein Video vom Hüttenzauber am 9. September.
Die Hütte - ein Zufluchtsort
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Die Hüttengeschichte
Die Hüttengeschichte
1890 schlägt Sektionsvorsitzender Richard Schucht vor, eine Hütte auf den Karlesköpfen oberhalb des Pitztals zu bauen. Dieser Bau wird genehmigt.
1892 wird die Hütte eingeweiht: Am 30. August feiern 100 Gäste das neue Alpenvereinshaus. Richard Schucht wird zum Ehrenbürger des Pitztales ernannt.
1894 Wegen des großen Besucherzustroms gibt es einen ersten Anbau.
1908 wird das Schlafhaus als westlicher Anbau fertiggestellt.
1914 - 1918 ist die Hütte wegen des Ersten Weltkrieges nicht bewirtschaftet. Die Tiroler Kaiserjäger nutzen den Standort zur Ausbildung.
1925 erhält die Hütte eine Wasserversorgung: An einem Gletschersee wird eine Pumpe installiert.
1926 wird ein Raum als Kapelle hergerichtet.
1930/31 folgen weitere Erweiterungen: Die heutige Gaststube wird als Speisesaal angebaut. Später baut die Sektion den Mittelbau, das Schlafhaus und den Wirtschaftstrakt aus.
1940 - 1945 ist die Hütte wegen des Zweiten Weltkrieges erneut nicht bewirtschaftet.
1942 errichten Gebirgsjäger eine Materialseilbahn.
1945 wird die Hütte von den Alliierten beschlagnahmt.
1956 geht sie als Eigentum an die Sektion Braunschweig zurück.
1965 wird die Hütte noch einmal erweitert, der Trakt für die sanitären Anlagen entsteht.
1983 übernehmen Cilli und Franz Auer die Hütte als Pächter.
2000 wird die Materialseilbahn erneuert. Sie dient der Versorgung der Hütte.
2005 verunglückt Franz Auer tödlich beim Sturz in eine Gletscherspalte.
2010 - 2012 saniert die Sektion ihr Haus für 1,35 Millionen Euro.
2016 übernimmt Stefan Neurauter die Pacht der Hütte von seiner Schwiegermutter Cilli Auer.
2017 feiert der DAV Braunschweig das 125-jährige Bestehen seiner Hütte.
Bürgermeister Elmar Haid gratuliert
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Ein Rundgang durch die Hütte
Auf der Braunschweiger Hütte gibt es außerdem drei Duschen, zwei Seminarräume, Wohnräume für das Personal und den sogenannten Winterraum, der frei zugänglich ist, wenn die Hütte nicht bewirtschaftet ist.
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Morgen- und Abendstimmung
Besonders malerisch präsentiert sich die hochalpine Landschaft im Morgen- und Abendrot. Allein schon dieses besondere Farbenspiel ist eine Hüttenübernachtung wert.
Hüttenzauber bei der Jubiläumsfete
Am Nachmittag folgte eine Feierstunde mit Grußworten der Ehrengäste. Danach begann der gemütliche Teil bei Musik und Tanz. Auch der Braunschweiger Oberbürgermeister Ulrich Markurth feierte ausgelassen inmitten vieler Bergfreunde aus Niedersachsen.
Das Pitztaler Jöchl trennt Skizirkus und Berg-Idyll
Vom Übergang geht es steil hinab ins Söldener Skigebiet am Rettenbachferner mit der Gletscherstraße. Bis vor ein paar Jahren war hier noch ein kleiner Gletscher, über den Schnee konnten Wanderer recht einfach hinabgleiten. Jetzt geht es über Geröll bergab, das bei Neuschnee tückisch sein kann.
Schmelzende Riesen
Die Zähmung der BergeKommentar von David Mache
Gewinnbringend ist diese Debatte nicht – im Kern verbindet doch alle die Faszination der Berge.
Diese Faszination schwindet durch Seilbahnen und Pisten, denn sie zerstören, was die Alpen so unvergleichlich macht: unberührte Natur, unerreichbare Gipfel, ungezähmte Wildnis.
Selbstverständlich haben auch die Menschen in Tirol ein Recht auf Arbeit und Wohlstand. Selbstverständlich besteht die Gefahr, dass Täler wie das Pitztal veröden. Aber ist ein noch größeres Skigebiet die Lösung?
Wohl nirgends zeigt sich der Klimawandel so deutlich wie in den Alpen. In den vergangenen beiden Wintern gab es bis Neujahr kaum Schnee. Ohne kostspielige Beschneiungsanlagen blieben in vielen Wintersporthochburgen schon heute die Hänge grün. Skifahren könnte in Zukunft so teuer werden, dass es nur noch Superreiche anspricht. Dabei gibt es längst funktionierende Strategien für nachhaltigen Tourismus. Ein Beispiel ist Vent im Ötztal, das unter dem Label „Bergsteigerdorf“ erfolgreich auf die Sommersaison setzt.
Im Pitztal ist dieser Zug wohl abgefahren. Dem Totschlag-Argument der Arbeitsplatzsicherheit werden sich die Behörden nicht verschließen, rund um die Braunschweiger Hütte dürften bald Bagger rollen. Dann frisst die Freizeitindustrie mit ihrem kurzfristigen Profitdenken wieder ein Stück Berg-Faszination.
Foto: Der Gipfel der Zugspitze. (Euroluftbild, Funke Foto Services)